Die großen Themen diskutieren – das Zukunftsgespräch der Vision 27

„Die SPD muss an jedem Arbeitsplatz, in jedem Klassenzimmer und überall stattfinden“, erklärte Thomas Kutschaty am Samstagmorgen zu Beginn des Zukunftsgesprächs im Johannes-Rau-Haus. Das Zukunftsgespräch, das im Rahmen der Vision 27 ins Leben gerufen wurde, soll genau diesem Anspruch gerecht werden. Denn hier ging es darum in vier Diskussionspanels, moderiert vom freien Journalisten Matthias Bongard, Antworten zu den vier dringendsten Fragen der Gegenwart zu finden: „Wie sieht progressive, sozialdemokratische Klima- und Umweltpolitik aus?“, „Wie gelingt soziale Politik für dich?, Was macht gute Arbeit aktuell und in Zukunft aus?“ und „Wohlstand und Teilhabe – Gilt das Aufstiegsversprechen noch?“

Generalsekretärin Nadja Lüders erklärte im Eingangsgespräch mit Thomas Kutschaty und Matthias Bongard, warum das Gespräch so wichtig ist: „Wir müssen wieder miteinander ins Gespräch kommen, dem anderen zuhören und bereit sein, Meinungen zumindest aufzunehmen, die einem selbst vielleicht nicht so passen, um nachzuvollziehen, wo stehen die Menschen gerade. Das müssen wir wieder verstärkt machen und uns so öffnen, um die Probleme der Menschen, die so unterschiedlich geworden sind in den Blick zu nehmen.“

Bye bye Kohlepartei?

Sozialdemokratische Umweltpolitik hat immer bedeutet, das Leben der Menschen besser zu machen, ein Paradebeispiel für diese Haltung ist Willy Brandts Anspruch „Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden!”. Einer, der zwar nicht an der Ruhr jedoch an der Emscher für mehr Umweltschutz sorgt, ist Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverbandes. Im Gespräch mit Matthias Bongard erklärte er: „Wir erleben, dass Politik in Krisenzeiten hunderte Milliarden bereitstellen kann – für eine nie gekannte Aufrüstung, für eine finanzielle Absicherung von Banken, für Corona-Maßnahmen. Wir erleben es aber gleichzeitig nicht, dass Politik mit der gleichen Entschiedenheit im Klimaschutz ein Paket schnürt, wo Bürgerinnen und Bürger milieuübergreifend den Eindruck haben, Politik hat die Zeichen der Zeit erkannt. Ich glaube, hier ist Nachholbedarf.“ Die Frage, wie die Bürger*innen, aber vor allem die Arbeitnehmenden im Klimaschutz besser mitgenommen werden können, bewegt auch Stephanie Albrecht-Suliak, Abteilungsleiterin Politik und Internationales bei der IGBCE. Deshalb erläuterte sie: „Man muss die Beschäftigten mitnehmen. Das ist auch eine Wahrheit, die auch die junge Generation wahrnehmen muss.“ Aus diesem Grund empfiehlt sie der SPD Klimapolitik aus Sicht der Arbeitnehmenden zu machen: „Das ist die Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen. Wenn man das konsequent durchdekliniert und so für sich beantwortet, weiß man, wo man präsent sein muss.“

Soziale Politik für dich

Im zweiten Panel des Tages diskutierte Matthias Bongard mit Marion Warden, Geschäftsführerin der AWO Düsseldorf und Maurice Höfgen, der sich als Ökonom, Youtuber und Autor vor allem mit Finanz- und Wirtschaftspolitik beschäftigt. Im Fokus stand dabei die wachsende Armut. Gerade durch die aktuellen Krisen seien mehr Menschen in die Armut geraten, wie Höfgen erklärte. Es sei eine Peinlichkeit für Sozialstaat, dass die Tafeln die Ärmsten versorgen müssen. Seiner Meinung nach ist die zentrale finanzpolitische Frage der Zeit deshalb diese: „Wie sorgen wir für eine Wirtschaft, in der Vollbeschäftigung herrscht, in der wirklich jeder, der Arbeit sucht, auch einen guten Job findet und der auch vernünftig bezahlt wird?“ Auch Warden sieht die aktuelle Situation des Sozialsystems kritisch. Sie beobachtet seit Jahren, dass immer wieder die gleichen Familien armutsbetroffen seien: „Wir haben es in den letzten 30 Jahren nicht geschafft, einen sinnvollen Hebel anzusetzen, damit wir Kindern, die in diesen Armutsverhältnissen aufwachsen, einen Weg nach draußen vermitteln.“ Warden betonte in diesem Kontext die Bedeutung von Bildung, der Lehrkräftemangel in NRW sei hier ein alarmierendes Zeichen.

Was verstehen wir heute unter Arbeit?

Seit über anderthalb Jahren schon kämpft ver.di-Gewerkschaftsekretär Özay Tarim mit drei Arbeitnehmerinnen von Sixt für die Gründung eines Betriebsrats. Im Gespräch mit Matthias Bongard statuierte er dazu: „Wir reden in dieser Gesellschaft von Beteiligung und Demokratie und dann sehen wir umgekehrt, dass es vor den Betriebstoren und -türen endet. Und das ist ja das Erschreckende bei diesen Arbeitgebern.“ Susan Paeschke, die stellvertretende Landesgeschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit und Leben DGB/VHS NRW e.V. beklagt in diesem Kontext die mangelnde Kontrolle des Arbeitsrechts durch die entsprechenden Behörden. Ein weiteres zentrales Thema, das auch das Publikum in der Umfrage hervorhob, war der Wunsch, neue Arbeitsstrukturen nicht nach alten Mustern zu bewerten. Paeschke sagte dazu: „Wir sind in den großen Industriebereichen relativ gut sortiert. Aber all diejenigen, die nicht darunterfallen, können wir nicht fassen.“

Können wir das Aufstiegs-Versprechen heute noch einlösen?

Wer in Schule, Ausbildung, Studium und Beruf fleißig ist, sich engagiert und seinen oder ihren Beitrag leistet, muss sich im Leben nicht nur keine existentiellen Sorgen machen, sondern wird mit persönlichem sozialen und ökonomischen Fortschritt dafür belohnt. Die Realität ist heute oft eine andere. Das berichteten auch die OGS-Leiterin Linda Jaskowiak und Sagithjan Surendra, Vorsitzender des Aelius Förderwerks für faire Bildungschancen. Beide beklagten die unterschiedlichen Startbedingungen, die Kinder im Leben haben und die nicht aufgefangen werden können. Eine Lösung im schulischen Kontext ist laut Jaskowiak die engere Betreuung durch multiprofessionale Teams. Ihr Grundsatz lautet: „Wir wollen nicht nur verwalten. Wir brauchen Qualitätsstandards in den Schulen und vor allem im Ganztag.“ Ab 2026 hat jedes Kind einen Rechtsanspruch auf OGS-Platz – bis dahin müsse sich etwas ändern. Auch Surendra träumt von einer Umstrukturierung des Schulsystems: „Der große Appell ist, dass wir Schule neu denken müssen. Schule muss dieser Ort werden, wo auch zivilgesellschaftliche Akteure unterwegs sein können, wo mehr Sozialarbeiter, wo Psycholog*innen aktiv sind. Wo Schülerinnen und Schüler sich gehört fühlen, sich ermutigt fühlen, über ihre eigenen Erfahrungen zu reflektieren, die völlig über Schule und den Lehrplan hinausgehen. Das das ist am Ende das, was sozialen Aufstieg ausmacht. All das, was in einem wohl behüteten Elternhaus die Eltern mitgeben, müssen nicht die Lehrerinnen und Lehrer leisten, aber Schule den Ort schaffen, um das leisten können.“

Vier Themen, vier Panels, acht Gäste aus ganz verschiedenen Bereichen gesellschaftlichen Lebens – was im Zukunftsgespräch der Vision 27 zusammengetragen wurde, wird nun in im Vorfeld des Landesparteitags im Rahmen des Analyseprozesses zur Landtagswahl ausgewertet. Fest steht: Es ist viel zu tun, doch mit diesem Zukunftsgespräch wurde eine gute Basis für neue Ideen gelegt.